Studienreise durch Deutschland für Restrukturierungsprofis
Das Competence Center Internationale Restrukturierung und Sanierung an der FH Kufstein Tirol möchte in Deutschland und Österreich die Restrukturierungs- und Sanierungsbranche stärken. Durch erfolgreiche Restrukturierungsprojekte oder implementierte Indikatoren zur Früherkennung von Krisen sollen möglichst viele Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben und Arbeitsplätze gesichert werden. Die für die Studierenden verpflichtende Studienreise führte vom 4. bis zum 7. Februar 2013 über die Grenze nach Deutschland. Besucht wurden interessante Unternehmen, die in jüngerer Zeit Restrukturierungs- und Sanierungsmaßnahmen eingeleitet haben bzw. darin involviert waren.
Schneider, Geiwitz & Partner in Neu-Ulm
Das erste Unternehmen, das von der 13-köpfigen Reisegruppe besucht wurde, war Schneider, Geiwitz & Partner in Neu-Ulm. Als Gesprächspartner zum Thema „Insolvenzverfahren der Schlecker Gruppe“ fungierten Arndt Geiwitz, WP/StB & Partner und Patrick Wahren, WP/StB & Partner.
Inhaber Anton Schlecker hatte das Unternehmen 1975 gegründet und bis zur Insolvenz begleitet. Er selbst verfolgte strikt seine Prinzipien, was ihm einst auch Erfolge verschafft hatte. Durch das im März 2012 eröffnete Insolvenzverfahren wurde der vom Gericht bestellte Insolvenzverwalter, Arndt Geiwitz, öfter in den Medien erwähnt als die deutsche Kanzlerin. Die Öffentlichkeit nahm am Schicksal der 36.000 „Schlecker-Frauen“ Anteil. Das außergewöhnlich hohe Interesse an diesem Fall machte die Unterstützung einer Agentur für Öffentlichkeitsarbeit notwendig. Die Pressearbeit wurde zum wichtigsten internen Kommunikationsinstrument.
Arndt Geiwitz setzte alles daran, einen Investor für Schlecker zu finden. Ziel war, die Fortführung des Handelsunternehmens mit einem veränderten Konzept zu erreichen. Im Laufe des Geschäftsjahres 2012 wurde die Firma Anton Schlecker e. K. sowie die Tochtergesellschaft Schlecker XL GmbH liquidiert. Die Tochtergesellschaft Ihr Platz GmbH & Co. KG wurde nach dem Verkauf der einzelnen Filialen aufgelöst.
Doch die Arbeit von Insolvenzverwalter Geiwitz ist noch nicht zu Ende. Viele Kündigungsschutzklagen sind noch in der Schwebe. Erst wenn alle Forderungen bezahlt sind oder ein Vergleich erreicht ist, kann das Mandat als abgeschlossen gelten.
Wellensiek Rechtsanwälte in Heidelberg
Der zweite Reisetag führte die Studierenden zu einem interessanten Gespräch nach Heidelberg. Dort trafen sie auf Dr. Volker Büteröwe, Rechtsanwalt & Partner von Wellensiek Rechtsanwälte. Die Tätigkeitsschwerpunkte der Kanzlei sind neben der Insolvenzverwaltung auch die Vertretung bzw. Beratung von Beteiligten bei Unternehmenskrisen bzw. Restrukturierungsfällen und in Insolvenzverfahren sowie die Beratung krisenbefangener Unternehmen in allen sanierungs- und restrukturierungs-, aber auch insolvenzbezogenen Fragen.
Themenschwerpunkte des Zusammentreffens waren die diversen Betätigungsfelder eines Rechtsanwalts im Insolvenzverfahren wie Schattenverwalter, Beratung, Treuhand und Vertragsgestaltung. Die Ausführungen von Dr. Büteröwe waren eine integrative Ergänzung zu den Erläuterung von Arndt Geiwitz.
Der als Schattenverwalter bezeichnete Rechtsanwalt in einem Insolvenzverfahren ist im gleichen Arbeitsgebiet wie der vom Gericht bestellte Insolvenzverwalter tätig. Ein sachgerechtes Zuarbeiten beider Parteien ist notwendig. So werden u. a. Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Anfechtungsrecht oder der Werthaltigkeit von Sicherheiten entsprechend aufbereitet. Für Spezialthemen werden weitere Berater hinzugezogen.
Dr. Büteröwe erwähnte im Gespräch die interessante Alternative der Einrichtung eines Treuhandmodells zu dem seit 1. März 2012 etablierten ESUG (Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen), innerhalb dessen der deutsche Gesetzgeber die Möglichkeiten der Einflussnahme der Gläubiger auf das Insolvenzverfahren erweitert hat.
SAP AG in Walldorf
Die SAP AG mit Stammsitz in Walldorf ist in Europa der größte und weltweit der viertgrößte Softwareentwickler und –hersteller für die Abwicklung sämtlicher Geschäftsprozesse eines Unternehmens. Die Studierenden hatten hier einen Gesprächstermin mit Helmut Fink, Head of Strategic Business Development and Innovation zum Thema „Post Merger Integration bei der SAP AG“.
Ziel von SAP Akquisitionen ist die Gewinnung von Mitarbeitern und Technologien, um mit neuen Produkten und Lösungen das Geschäftsmodell von SAP ständig weiter zu entwickeln. Pro Jahr werden drei bis vier Transaktionen angestrebt, die auf der Basis einer fünfjährigen Planung strategisch vorbereitet werden.
Grundsätzlich geht es bei der Post Merger Integration darum, die Organisation, die Unternehmenskulturen, die Wertschöpfungsprozesse sowie die Informationssysteme aufeinander abzustimmen. Eine besondere Bedeutung wird der Identifikation von Leistungsträgern sowie dem Erarbeiten von Bindungskonzepten eingeräumt. Um eine Fluktuation zu verhindern, müssen Mitarbeiter sachgerecht informiert werden.
Der Besuch der SAP AG endete mit einem Rundgang durch den „SAP Inspiration Pavillon“ in dem die Unternehmensentwicklung mit eindrucksvollen interaktiven Medien dargestellt wird.
net SE in Koblenz
Am vorletzten Reisetag besuchten die Studierenden die net SE. Diese ist im Bereich der Produktvermarktung für Standardsoftware tätig. Aktuell ist die net SE am Münchner m:access, einer segmentübergreifenden Handelsplattform, notiert und erreicht eine Marktkapitalisierung von rund 1,8 Mio. Euro.
Die von Gesprächspartner Dr. Stefan Immes gegründete Unternehmensgruppe war in Zeiten des Börsensegments „Neuer Markt“ eine echte Erfolgsstory. Motiviert von der Idee, „SAP für Arme“ zu entwickeln und das Unternehmen an die Börse zu bringen, gründete er 1997 die ZTB AG, welche zwei Jahre danach in die net AG umgewandelt wurde und ein Jahr später ihre Erstnotiz fand.
Das Wachstum wurde auch mit Unternehmensakquisitionen erreicht, die jedoch nicht immer erfolgreich waren. Dr. Immes warnt deshalb vor dem Erfassen von Synergien bei M&A-Transaktionen und rät, auch auf das „Bauchgefühl“ zu hören.
Unternehmen wurden in Zeiten der „New Economy“ deutlich überbewertet, darüber waren sich alle Gesprächspartner einig.
Im Jahr 2010 erfolgte die Umwandlung in die aktuelle net SE (Societas Europaea), einer europäischen Aktiengesellschaft, die innerhalb der EU ein unkompliziertes Verlegen des Firmensitzes ermöglicht.
Spannend waren die Ausführungen über vergangene Hauptversammlungen. In den Anfangsjahren war es üblich, diese als große Events zu gestalten. Mit Rückgang des Börsenkurses waren auf den Versammlungen auch die „üblichen“ eloquent auftretenden selbsternannten Aktionärsvertreter anwesend, um nach Verfahrensfehlern zu suchen und über die Androhung von Anfechtungsklagen eine „Aufwandsentschädigung“ zu erwirken. Um mit solchen Aktionären professionell umgehen zu können, rät Dr. Immes, dass das adäquate Auftreten von Vorstand und Aufsichtsrat bei Hauptversammlungen geübt werden sollte.
Für die Zukunft mangelt es ihm nicht an Ideen, wie er anhand des Beispiels APPS (Anwendungssoftware für Mobilgeräte) und Systemtechnik im Bereich Security vorstellte.
KPMG AG in Frankfurt
Das letzte Ziel der Studienreise war ein Besuch der KPMG AG in Frankfurt bei Peter Wiegand, Partner & Head of Restructuring, Berlin sowie Florian Rieser und Knuth Hansen.
Die Restrukturierungs-Berater der KPMG unterstützen Unternehmen bei der finanzwirtschaftlichen, operativen und strategischen Restrukturierung bzw. Repositionierung. Das Beratungsportfolio ist in die Bereiche „Leistungswirtschaftliche Restrukturierung“, „Finanzwirtschaftliche Restrukturierung“, Independent Business Review, „Integrierte Finanzplanung“ und Erstellung von Sanierungskonzepten gegliedert.
Peter Wiegand verantwortet die KPMG-Restrukturierungsabteilung, die in Deutschland mit etwa 90 Mitarbeitern zu den großen Vertretern der Branche gehört. Das Business Modell unterscheidet sich von anderen durch seinen ganzheitlichen Beratungsansatz.
Das Leistungsspektrum reicht vom „IBR“ bis hin zur Integration von steuerlichen und juristischen Fragestellungen. Gegenüber manchem:r Mitbewerber:in sind die Berater:innen von KPMG nicht bei Mandaten in der Organhaftung engagiert. Ein Betätigungsfeld, welches nach Meinung von Herrn Wiegand, aber ausgebaut werden müsse.