Kommunikationsexperte Haller der FH Kufstein Tirol wird zur Skandalkommunikation befragt.
ZDFinfo
FH-Professor Haller während des Interviews im ZDF-Info-Programm, sitzend vor dem Hintergrund der FH-Bibliothek

ZDF-Dokumentation über die Bedeutung von Skandalen in den Medien

22.09.2022 | Research
"Lüge & Wahrheit: die Macht der Informationen", so der Titel der ZDF-Dokumentation über Skandale und deren Hintergründe bei der der Kommunikationswissenschaftler Prof. (FH) Dr. André Haller als Experte hinzugezogen wurde.

Dr. André Haller, Kommunikationswissenschaftler der FH Kufstein Tirol, hat sein Spezialgebiet im Bereich der Skandale über Jahre aufgebaut. Seine Buchreihe Scandalogy, eine eigene wissenschaftliche Fachkonferenz zum Thema und zahlreiche Fachartikel, illustrieren das Forschungsgebiet, das er mit Hingabe weiter ausbaut. Er unterrichtet an der FH Kufstein Tirol im Studiengang Marketing & Kommunikationsmanagement sowie Digital Marketing. Anlässlich einer ZDF-Dokumentation wurde er als Experte hinzugezogen, um sein Wissen beizusteuern und Marksteine aus der Kultur der Skandale von wissenschaftlicher Warte aus zu beleuchten.

ZDF-Dokumentation über Skandale im Wandel der Zeit

Skandale - sie erschüttern die Gesellschaft, entzünden Debatten und können Motoren des Wandels sein. Sie decken häufig Lügen auf, doch der Wahrheit sind sie nicht immer verpflichtet. So startet die Dokumentation, die einen analytischen Brückenschlag von der Antike bis zur Neuzeit herstellt, Skandale und deren Hintergründe unter die Lupe nimmt und Ergebnisse bewertet, die nie in solcher Kompaktheit sichtbar gemacht wurden.

Gesellschaftlicher Wandel getrieben durch Skandale

Mit dem Skandal um Harvey Weinstein begann eine mediale Lawine einen sozialen Wandel einzuleiten. Innerhalb der #MeeToo-Kampagne bekannten 75% der amerikanischen Bevölkerung ihre Übereinstimmung, dass sexuelle Belästigung ein Null-Toleranz-Thema für sie darstellt. Skandale führen also zu beachtenswerten Reaktionen um Regelungen, Normen und gesellschaftlichen Habitus neu zu bewerten.

„Es ist unumgänglich, dass Journalist:innen und Medien bei der Aufdeckung von Skandalen eine sehr zentrale Rolle spielen. Skandale haben die Macht Grenzen und Regeln zu verändern“, so Haller.

Inhaltlich beginnt die Geschichte der Skandale in der Antike bei den olympischen Spielen. So wurden Olympioniken, die beim Betrug erwischt wurden mit Strafzahlungen belegt. Man verwandte die Gelder zum Errichten von Statuen, die als Mahnmal mit dem Namen des Betrügers den Eingangsbereich von Olympia zierten. „Das Vehikel der Skandalverbreitung in der Antike war Mundpropaganda – das älteste uns bekannte Mittel in der Skandal-Kommunikation“, ergänzt der Forscher.

Die erste Boulevardpresse

Auch vor dem Hintergrund der französischen Revolution, können neue Elemente in der Skandal-Kommunikation festgestellt werden. So wurde Kaiserin Marie-Antoinette eine medial aufgebauschte Halskette zum Verhängnis, die in den damals schon üblichen Vorgängern der Boulevardpresse entscheidenden Einfluss auf die öffentliche Meinung hatten. Sarkasmus, Ironie und abwertende Zeichnungen trugen ein Übriges dazu bei, um das Bild des verkommenen Herrscherhauses zu prägen. „Über den Buchdruck verändert sich die Kommunikation, mit den Zeitungen wird Skandalverbreitung zum Massenphänomen“, stellt der Kommunikationsexperte klar.

Journalistische Prüfung wird Wertebasis

Im Jahr 1882 wird ein politisches Attentat auf zwei Regierungsmitglieder - Lord Cavendish und Thomas Burke - von irischen Extremisten zu einem Desaster für die britische Times. Die Zeitung veröffentlichte diffamierende Briefe, die einem führenden Nationalisten (Charles Parnell) Zustimmung und Unterstützung der Morde unterstellten. Die Fälschung der Briefe wurde nachgewiesen und die Reputation der Times sowie des Journalismus an sich wurden heftiger Kritik ausgesetzt. Auch die damalige Abhängigkeit der Medien von Sponsoren trug dazu bei, dass Wertereformen wie politische Neutralität, Echtheitsprüfungen und vertiefte Recherchearbeit im Journalismus eingeleitet wurden. „Auch zu dieser Zeit waren Skandale Gold für die Medien, aber die massive Kritik führte zu einem veränderten Mindset: an den Skandalen musste etwas Gehaltvolles dran sein, sonst wurden die Journalisten öffentlich abgestraft“, resümiert Haller.

Ein weiteres Beispiel ist heute in aller Munde durch eine aktuelle Verfilmung „Faking Hitler“, die den Deutschen Fernsehpreis 2022 erhielt. 62 Bände von Hitlers Tagebüchern wurden Anfang der 80er Jahre gefunden, untersucht und vom Magazin Stern und der Sunday Times als Sensation publiziert. Sie waren ebenfalls eine Fälschung, wie man auch schon zu dieser Zeit rasch feststellen konnte, allerdings erst nach der Publikation.

Skandale unterschiedlich akzeptabel

„Das interessante an dieser Episode ist, dass unterschiedliche Länder durch unterschiedliche Skandalkulturen geprägt sind. In Deutschland sind die Nazi-Zeit, NS-Erinnerungen, nationale Identität und Geschichte immer hochbrisanter Zündstoff – die Reaktionen auf die Stern-Publikation waren hochkritisch für das Magazin. Wohingegen die Sunday Times kaum Kritik für die verfrühte Veröffentlichung einstecken musste. In den USA werden öffentliche Personen vor allem durch außereheliche Sex-Affären zu Fall gebracht. Im Unterschied zu Italien, wo Berlusconis zahlreiche Affären kaum Schaden an seiner politischen Karriere anrichten konnten“, fügt der Kommunikationswissenschaftler hinzu.

Zusammenfassend können laut Prof. (FH) Dr. André Haller drei historische und entscheidende Phasen der Skandalkommunikation unterschieden werden: „Die Einführung des Buchdrucks, die Einführung von TV und Radio und die digitale Transformation unserer Kommunikations-Instrumente - also das Web und Social Media. Alle drei Stadien der Verbreitung haben einen massiven Einfluss auf die Art und Weise der Verbreitung von Skandalen und tragen zu Informationen und Misinformationen gleichermaßen bei. Anhand von Skandal-Kommunikation kann man sogar die Wertegerüste von Gesellschaften ableiten.“

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