Science-Fiction-Autor Jo Schuttwolf über Digitales Marketing in der Literatur
Das Gespräch fand anlässlich der Veröffentlichung von Schuttwolfs neuestem Werk Ion statt. Bert Neumeister leitete die Diskussion mit gezielten Fragen, die das Zusammenspiel von Literatur und digitalen Trends beleuchteten. Jo Schuttwolf (nachfolgend JS genannt), dessen beruflicher Werdegang Stationen als Kreativer und Texter bei renommierten Agenturen wie Grey und Ogilvy in Düsseldorf umfasst, ist heute vielseitig tätig. Neben seiner Arbeit als Filmregisseur und Sprecher engagiert er sich als Schriftsteller und freier Lektor für Medien- und Kommunikationswissenschaften an verschiedenen Hochschulen in Nordrhein-Westfalen.
BN: Ion ist dein fünfter im Buchhandel erhältlicher Titel. Dennoch bist du ein relativer Newcomer in der deutschsprachigen Literaturszene. Wie wird man als neuer Autor über analoge und digitale Wege bekannt?
JS: Das ist sicherlich nicht so einfach heute. Denn mittlerweile sind sehr viele Selfpublisher unterwegs, die mitunter auch hervorragende Bücher herausbringen. Dennoch war es mir wichtig, in einem Verlag zu veröffentlichen, weil ein Verlag über seine eigenen Marketingkontakte verfügt, die dafür sorgen, dass Newcomer bekannter werden. Parallel muss man aber heute als relativer Neuling immer auch persönlich aktiv werden, um hervorzustechen unter den vielen Neuerscheinungen, die jede Woche auf den Markt kommen. Natürlich durch Social-Media-Präsenz, aber auch immer noch durch Artikel in Printmagazinen, Zeitungen und mehr und last but not least ist die Mund-zu-Mund-Propaganda nicht zu unterschätzen. Freunde und Bekannte, die das Buch lesen und begeistert sind, werden durch ihre Weiterempfehlung zu wertvollen Unterstützer:innen.
BN: Welche Rolle spielt Social Media bei der Vermarktung deines Buchs? Bist du auch auf Instagram, TikTok und in Online Literatur Communities aktiv?
JS: Klar, Buchmarketing spielt sich in den sozialen Netzwerken ab. Ich selbst bin bei Facebook, Instagram und TikTok. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass dies zwar effektiv für die Reichweite und die Bekanntheit ist, aber eher weniger für die Generierung von Verkäufen. Es ist und bleibt eine Buch-Bubble, wo sich viele Autoren tummeln, die zwar liken und sich gegenseitig feiern, aber selber kaum kaufen. Die Lesenden und Käufer:innen sind irgendwo anders, im richtigen Leben. Der Schlüssel zum Erfolg (definiert durch Verkäufe) bleibt ein Geheimnis. Es gibt nicht DEN Code für einen Beststeller. Dafür gibt es mittlerweile zu viele Bücher in allen möglichen Genres auf der Bühne. Am Anfang der großen Social-Media-Welle vor circa 15 Jahren war das anders. Und hier ist es genauso wie beim Surfen: es kommt auf den richtigen Zeitpunkt an, die große Welle zu nehmen. Oft erkennt man den richtigen Zeitpunkt erst, wenn es schon zu spät ist.
BN: Kannst du uns etwas zu Bookfluencern erzählen, die besonders für eine jüngere Zielgruppe wie die Generation Z immer wichtiger werden?
JS: Bookfluencer, Buchblogger und so weiter sind schon wichtig für Autor:innen und Lesende. Sie übernehmen meist die Rolle von Journalist:innen, die früher in Magazinen und Zeitungen über Neuerscheinungen geschrieben haben. Bookfluencer sind ihre eigene Marke und haben zum Teil eine große Fanbase. Deshalb sollte eine Autorin / ein Autor gute Kontakte zu ihnen haben, bzw. diejenigen Blogger kontaktieren, die das Genre des eigenen Buches wertschätzen und sich dort beheimatet fühlen. Oft sind Bookfluencer sowohl auf Instagram (für die jüngere Zielgruppe wie GenZ) als auch auf Facebook für die etwas Älteren aktiv. Und auch Booktoker, die Buch-Community auf TikTok, nehmen einen großen Platz in der Szene ein.
BN: Kann man sagen, dass moderne Autoren und Autorinnen eine Marke kreieren müssen, um langfristig erfolgreich zu sein?
JS: Ich denke, dass man das mit einem klaren Ja beantworten kann. In einer Zeit, wo es unzählige Bücher gibt, von denen viele Genre-Trends folgen, bleibt doch die Frage: wie hebe ich mich als Autor oder Autorin hervor? Was ist mein USP? Die Antwort liegt oft in der eigenen Individualität. Die eigene Persönlichkeit als Marke zu inszenieren ist die logische Konsequenz. Es reicht dann oft nicht mehr, dass eine Autorin oder ein Autor das Buch präsentiert, sondern persönliche Backstage-Stories oder ganz normale Alltagserlebnisse weitergibt. Diese schaffen eine emotionale Bindung zur Leserschaft.
BN: Was macht für Dich gutes Marketing für Bücher aus? Worauf sollten Marketer in diesem speziellen Bereich im Umgang mit einem Kulturprodukt achten?
JS: Es kommt sicherlich darauf an, dass man unterschiedlichste Tools parallel bedient und testet. Dennoch sollte man mutig sein, auch neue Wege auszuprobieren. Oberste Devise wäre im Bereich Marketing für mich: Finde einen guten Multiplikator, jemanden, der kommerzielles Interesse hat, dein Buch zu bewerben. Damit meine ich nicht bezahlte Werbung, die man schalten kann, das machen ja auch viele. Nein, ich meine eher ungewöhnliche Wege, sowas wie Crossover-Thinking. In der Thriller Anthologie Anleger 511, die ich mit zwei Kollegen geschrieben habe, verweist der Buchtitel auf eine bestimmte Location, die es tatsächlich gibt. Es ist ein Restaurant in Eltville am Rhein mit dem Namen Anleger 511. Alle Geschichten in dieser Sammlung enden in diesem Restaurant. Der Inhaber fand die Idee mit dem gleichen Namen klasse und hat uns eine ganze Auflage abgekauft, um sie in seinem beliebten Weinrestaurant zu verkaufen. Das hat gut funktioniert. Lustig ist aber, dass das kein Marketingplan von vornherein war, sondern der Spaß an einem Spiel mit dem Namen hat uns drei Autoren bei einem Treffen in diesem Restaurant auf die Idee gebracht. Also einfach mal etwas ausprobieren.
BN: Wie wird sich digitales Marketing für Literatur und Autorinnen und Autoren in Zukunft verändern und wird vielleicht künstliche Intelligenz eine Rolle dabei spielen?
JS: Die eben erwähnte - ich sage einfach mal - USPsierung wird immer wichtiger und ja … das Thema KI. Generell wird KI wie in allen Bereichen eine immer größere Rolle spielen. Auch im Literaturmarketing und auch in der Literaturproduktion selbst. Und beide Bereiche werden wahrscheinlich noch mehr verschmelzen. Was heißt das? Es ist ja so, dass literarische Inhalte in vielen Sparten auf die Lesebedürfnisse der Zielgruppe zugeschnitten werden. So gibt es z.B. bei einem historischen Liebesroman bestimmte Elemente, die von der Leserschaft erwartet werden. Bei High Fantasy ist es genauso. Auch bezüglich der Länge. Im Genre High Fantasy werden mindestens 500 Seiten pro Band erwartet. Also gibt es überall spezielle Erwartungen beim Kauf eines Buches und eine KI könnte diese ganzen Insights, Vorlieben, Gewohnheiten, Fakten noch viel effektiver sammeln, auswerten und als Briefing für einen neuen Roman bereitstellen. Und diesen sogar selber schreiben. Das hört sich natürlich schlimm an und die Frage ist, ob der Autor nun überflüssig wird. Also ich denke, bis dahin haben wir noch ein wenig Zeit, aber KIs sind heute schon in der Lage nicht nur Werbe- und Sachtexte, sondern auch Gedichte und Geschichten zu schreiben. Wir alle kennen mittlerweile ChatGPT. Oft sind die Ergebnisse noch nicht ganz zufriedenstellend, zu stereotypisiert, aber sie werden immer besser. KIs lernen. Und auch wir Menschen lernen immer mehr, wie wir die KIs mit Prompts füttern müssen, damit sie neue, wirklich intelligente, zielgenaue, aber auch kreative Ergebnisse liefern - als hätte sie sich ein Mensch ausgedacht. Ein menschlicher Autor, der KIs für seine Zwecke einsetzt, ist sicherlich immer noch der große Regisseur im Hintergrund, aber alles entwickelt sich im Moment rasant schnell. Schwer abzuschätzen, was da alles noch auf uns zukommt. Mal abgesehen von den ganzen urheberrechtlichen Fragestellungen. Wie dem auch sei: Wir werden uns auch in der Literatur zunehmend damit auseinandersetzen müssen. Das steht fest.
BN: Worum geht es in Ion?
JS: Grob gesagt geht es um die Selbstfindung eines Protagonisten und um die Veränderung der Welt in 150 Jahren. Auch die Themen Digitalisierung, Cyborg-Technologie und KI spielen dabei eine Rolle. Es ist eine dystopische Zeitreise-Story. Andy, der nach einem Unfall in einem Krankenhaus in Sydney ein Tagebuch aus der Zukunft findet, macht sich auf die Suche nach dem Autor dieses Tagebuchs. Die Frage, was dabei real oder nur Fiktion ist, begleitet den Leser und die Leserin genauso wie die Frage, was Andy selber mit alle dem zu tun hat. Also letztlich ist es eine spannende, abenteuerliche Entdeckungsreise. Filme wie Blade Runner haben mich dazu inspiriert.
BN: Herzlichen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg mit deinem neuen Buch. (Ion von Jo Schuttwolf. Als E-Book und Taschenbuch - 188 Seiten - bei Telegonos Publishing 2024 erschienen. Im stationären und Online-Handel erhältlich.)